Sternfahrt nach Nonnenhorn 2013

Sternfahrt der Folkeboote zu Pfingsten 2013

Das Pfingsttreffen der Folkeboote ist für viele die erste Segelgelegenheit in der neuen Saison am Bodensee. Um diese Zeit ist die Silhouette der Alpen besonders hübsch anzusehen. Bis weit unter die Gipfel liegt noch Schnee, was einen wunderschönen Kontrast ergibt zu der bereits frühsommerlich anmutenden Flora an den Seeufern, wenn die wärmenden Sonnenstrahlen unter einem klaren blauen Himmel das Frösteln der vorangegangenen Nacht vergessen lassen. Wobei ich mich auch an einige verregnete, nasskalte Sternfahrten erinnere, auch an die im Jahre 1999, als der See einen derartigen Hochstand aufwies, dass wir das Clubhaus im Hafen von Zech nur mit Hilfe eines Traktor erreichen konnten, auf dessen Ackerschiene stehend unsere Füße gerade noch trocken blieben.

Diesmal schien es eine perfekte Überfahrt von Altnau nach Nonnenhorn zu werden, bei einer leichten achterlichen Brise und T-shirt-Temperaturen. Bis die Bootsdecke eingepackt und das Boot segelklar bereitstand hatte sich jedoch der Wind soweit gelegt, dass ich die Paddel bereitlegen musste um der Gefahr zu entgehen, links und rechts auf die Spundwand der Hafeneinfahrt zu treiben. Draußen war es dann urgemütlich. Zwar hätte mich jeder Schwimmer locker eingeholt, aber immerhin kam ich wenigstens etwas voran. Erst zu fortgeschrittener Stunde am späten Nachmittag schaute ich besorgt in Richtung Immenstaad, das erst jetzt querab lag, noch so viele Kilometer von Nonnenhorn entfernt. Mehr aus Langeweile denn zur Orientierung holte ich das Fernglas aus der Schublade und schaute nach meinem Ziel. „Da kann doch was nicht stimmen“, ging es mir durch den Kopf. Ich suchte das Ufer nach weiteren Lichtern ab, aber auf meiner Höhe war nichts zu sehen. Es war Samstag Nachmittag, da kann es ja wohl schlecht die Müllabfuhr sein die da blinkt, aber wo sollte denn jetzt um Himmels Willen ein Starkwind herkommen? Nach angestrengtem Suchen sah ich die weiteren Warnlichter am alpennahen Ufer. Ein bisschen Wind würde meinem Fortkommen zwar gut tun, aber ein Föhnsturm wäre gewiss das allerletzte, was ich mir jetzt wünschte.

Nach einer kurzen Pause frischte es auf, der Wind kam jetzt genau auf die Nase. Stundenlanges Kreuzen in der nahenden Dämmerung drückte merklich auf meine anfängliche Hochstimmung. Vielleicht hätte ich doch zu Hause bleiben sollen, wo meine Frau Nada unter der warmen Decke ihre Erkältung abwetterte. Diese Gedanken verflogen schnell beim Anblick der Folkebootfreunde, die mich auf den Stegen in Empfang nahmen und mir, sobald ich mich auf Rufweite genähert hatte, einen Willkommensgruß entgegenwarfen und im Gegenzug meine Leinen auffingen. Im hintersten Winkel war noch ein Plätzchen frei, Bernd und Isolde Miller hatten den Grill vor Ihrem Clubhaus schon angeheizt, der Abend könnte nicht einladender beginnen. Der Föhn hatte sich nicht soweit durchgesetzt, dass er sich in den häufig bis auf neun Bft. gehenden Fallwinden seiner feuchten Last entledigen musste, aber er bescherte uns ein warmes Lüftchen, bei welchem sich der Beginn der Segelsaison vortrefflich feiern ließ. Die glückliche, wenn auch verspätete, Ankunft tröstete mich über die verpasste Weinprobe am alten Torkel (Nonnenhorns historischer Kelter) hinweg.

Dann die Sache mit dem G- Punkt: Elly Kaspar hatte dieses heikle Thema aufgebracht. Wir ahnungslosen Segler erfuhren an diesem Abend die tiefgreifende Erkenntnis: direkt über der Nummer, unterhalb des „F“, da muss man ihn suchen: die Stelle der stärksten Profilkurve, die sollte 43% (oder 47%?) hinter dem Mast liegen, das ist das Geheimnis des schnellen Segelns. So sagen es jedenfalls die Dänen, so konnte man es beim Bestentraining an der Ostsee erfahren. Mir war das ganz neu, aber irgendwie hatte ich doch schon all die Jahre geahnt, dass Folkebootsegeln etwas Sinnliches hatte. Derart aufgeklärt fiel ich in meiner Koje in einen tiefen Schlaf, in dessen Träumen ich, hart am Wind auf hoher Kante sitzend, in ungeahnter Geschwindigkeit durch die Wellen pflügte, das Großsegel mit dem perfekten G- Punkt unter mir, das übrige Feld weit abgeschlagen hinter dem Spiegel.

Um vier Uhr erwachte ich durch den Lärm, als die Pinne ihren Kamm verlassen hatte und auf dessen Zähnen hin und her pendelte. Im weitgehend ungeschützten Hafen von Nonnenhorn brachte der einsetzende Sturm die Boote zum Schaukeln. Die Stunden bis zum Sonnenaufgang waren ungemütlich, dafür ließen wir uns beim Frühstück im Clubhaus alle Zeit der Welt. Der Wind wollte nur ganz langsam abflauen. Immerhin schätzte ich um zehn Uhr nur noch etwa Stärke sechs, jedoch durch die Wellenhöhe im flachen Hafen waren es gefühlt deutlich mehr. Das Ablegen erforderte ganz neue Manövertechniken. Nur mit überlangen Leinen und mit vereinten Kräften konnten die Boote eines nach dem anderen mühsam zwischen den Dalben heraus bugsiert und soweit verholt werden, dass das Heißen der Segel im Wind möglich war. Danach hatte jeder nur einen einzigen Versuch, zur richtigen Seite zu starten. Andernfalls hätte es irgendwo ganz laut gekracht. Und anschließend hieß es sofort, die Segel dicht zu bekommen, um dem Flach vor dem Hafen durch beherztes Anluven zu entgehen. Andy Trunz mit Freundin Karin waren die ersten, die diese Herausforderung annahmen und sie mit Bravour meisterten. Bei Olaf Jahnke sah es, zumindest von meinem Standpunkt, schon sehr abenteuerlich aus, sein Boot rauschte nach erstaunlich rasanter Beschleunigung in Richtung der Clubplätze und erst eine kräftige Pinnenbewegung brachte seine Kaos zur Raison und ab ging es in Rauschefahrt aus dem Hafen. Jeder gelungene Ableger (glücklicherweise gab es keinen einzigen Fehlversuch) wurde mit größtem Beifall bedacht, und so hatte der Törnauftakt durchaus die Qualität einer Zirkusvorstellung.

Als ich an der Reihe war setzte der Regen ein, darauf war ich nur ungenügend vorbereitet. Kein Publikum mehr, kein Applaus! Mitten auf dem See war ich bereits völlig durchnässt und erst die eintretende Flaute, begleitet von strahlendem Sonnenschein, gab mir Gelegenheit, mich vollständig neu einzukleiden. So ging es teilweise im Schlepp von Oliver und Martina Lenz, später dann doch wieder unter Segel, nach Meersburg, wo unmittelbar nach der Ankunft bereits wieder die Sturmwarnlichter blinkten. Direkt neben dem Osthafen von Meersburg, der

„Haltnau“, steht ein sehr altes Fachwerkhaus, das ein gemütliches Restaurant beherbergt. Dem angedrohten Sturm konnten wir dort bei, zumindest äußerlicher, vollkommener Trockenheit völlig entspannt entgegensehen.

 

Am nächsten Morgen breche ich rasch auf, den kurzen Schlag zum Schweizer Ufer anzugehen, denn der Wind ist günstig und auch die Sonne begrüßt uns mit ihren wärmenden Strahlen. Mitten auf dem See bin ich abermals becalmt und, wie sollte es anders sein, die Stuttgarter Wetterfrösche schalten die Sturmwarnung ein. Nein, das reicht jetzt, glücklicherweise ist wieder genug Ladung auf dem Akku, und der Küchenmixer schiebt mich den Rest der Strecke bis nach Altnau, wo ich noch zeitig den Zug zurück nach Karlsruhe erreiche, der die Höhen des Schwarzwaldes in strömendem Regen überquert.

Danke noch mal an Isolde und Bernd für die Organisation der gelungenen Sternfahrt.

Roland Dietrich, SUI 37 „Moltina“