Sessan-Cup in Berlin

Prolog
Dezember 2013

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Nachdem wir aus Berlin erfahren haben, dass man sich wegen des großen Interesses schnell entscheiden muss, mit wie vielen Booten und welcher Besetzung man antreten möchte, werden am Bodensee schnell zwei pdfs klargemacht und hochgeschickt – die Bestätigung kommt. Alle dürfen mit! Die Flotte Bodensee kommt mit „Team Konstanz“ (GER 220 und GER 602) und „Team Ost-West“ (GER 705 und GER 635). Von jetzt an verfolgen wir die Entwicklung genau.

Im Januar kurz mal auf der homepage vorbeischauen, wie sieht‘s denn aus so?
36 teams auf der Liste.

72 BOOTE! OH GOTT, ELLY! DER WANNSEE IST VIEL ZU KLEIN!!!

Das sprengt auch die Kapazitäten der Berliner Flotte, denn für den Sessan-Pokal werden die Boote von Seglern des gastgebenden Reviers zur Verfügung gestellt und die Segler bringen nur ihre Segel mit. Ein paar Tage später sind es deshalb auch schon wieder weniger, aber man hört dennoch: die Berliner bieten alles auf, was sie haben – und trotzdem sind es zu wenig. Flotte Eckernförde hilft aus, die bringen ein paar Boote mit. Endstand Ende Februar: 26 teams – 52 Boote. Yay!

Teilnehmer kommen aus (im Uhrzeigersinn:) Finnland, Estland, Ungarn, Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Schweden. Viele von ihnen kenne ich schon vom Goldpokal in Niendorf letztes Jahr. Und dann das legendäre Berliner Talent, Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Das kann nur heißen: es wird super!

Die Regatta
Donnerstag Abend

Nach sechs Stunden Autobahn stellen Elly, Norbert, Olaf und ich unsere Klamotten in Thomas‘ Wohnung in Potsdam ab und fangen schon mal an, den mitgebrachten Spargel zuzubereiten, damit es Essen gibt, wenn Thomas von der Arbeit kommt. Als wir dann alle am Tisch sitzen und unser Wiedersehen feiern, stellt sich langsam das Urlaubsgefühl ein. Nach dem Essen, nach mehreren Flaschen Wein, einem guten Grappa und diversen Runden auf Thomas‘ Nürburgring-Simulator (Porsche 911, getunter Golf, Audi) bilden wir uns ein, wir hätten unsere Synapsen jetzt auf die Ideallinien an den Luv- und Leetonnen optimal einjustiert. Es kann also losgehen.

Freitag, Eröffnungstag

Checkin im Regattabüro. In der Tasche mit den Segelanweisungen liegen PR-Artikel vom Deutschen Bundestag.

Gegen Nachmittag füllt sich das Gelände der SV03. Der Hafen voller Folkeboote, Terrasse und Wiese dicht bevölkert, der große Fahnenmast topgeflaggt. Ein „Folksfest“!

Elly und ich treffen auf der Terrasse Rainer und Günter, die sich beide in Charme-Offensiven überbieten, uns für ihr Boot anzuwerben. Da die Boote zugelost werden, heißt das: das Losverfahren zu manipulieren. Wir fühlen uns erstmal mächtig geschmeichelt – bis Günter rauslässt, dass er befürchtet, ernsthaften Kommunikationsproblemen entgegenzusehen, falls er eine fremdsprachige Crew zugelost bekommen sollte – er hatte in der Schule nur russisch…

Das Losverfahren bringt Elly und mich dann bei Klaus Kühn auf die „Mücke“.

Wir schlagen die Segel an, gehen das Trimm-Layout durch und stellen fest: passt eigentlich alles, nur die Spione am stehenden Gut fehlen. Kein Problem, Klaus bringt morgen eine alte Tonband-Kassette mit. Wir nutzen die herrliche Abendstimmung, um auf Oberhavel und Großer Breite noch ein paar Trimmschläge zu machen. Beim Kreuzen mit Kurs Schwanenwerder deutet sich schon an, dass es wieder die berüchtigten Windfelder auf dem Wannsee sein werden, die man richtig erwischen muss. Stimmung an Bord: prima. Aber wie sollte es auch anders sein, bei abends noch zwanzig Grad, 3 bft und dann dieser Kulisse…

Samstag, erster Wettfahrttag.

Wir haben Ende April, Johanna und Heta aus Helsinki stehen in kurzen Hosen und T-shirt in der Morgensonne und fragen nach Sonnencreme. In Finnland sind die Tage zwar schon länger als in Berlin, aber dieses Wetter – das haben die beiden Mädels nicht erwartet. Natürlich bekommen sie welche. Der Service der Berliner ist wirklich unglaublich und kennt fast keine Grenzen..

Es geht raus aufs Wasser: Start bei Nordostwinden von der Unterhavel in Richtung Große Breite. Elly und ich überlegen: rechts am Startschiff raus, gleich umlegen auf Steuerbordbug, am Rehwäldchen mit der richtigen Wende den Lift vor und nach der Landspitze mitnehmen. So nehmen wir es uns vor. Kurz vor dem Start zeigt sich: die Idee war vermutlich richtig – 51 Folkeboote können nicht irren… Und da ich heute das erste Mal in dieser Saison auf dem Wasser bin und außerdem auf gar keinen Fall das schöne Schiff von Klaus irgendwelchen Beschädigungen aussetzen will, starten wir defensiv. Das heißt: gaanz schlechter Anfang. Aber wenn ich das Gebrüll an der Linie höre, ehrlich gesagt: vielleicht doch die richtige Entscheidung.

Und dann entscheidet sich eben doch nicht alles am Start. Die berüchtigten Dreher und Windfelder auf dem Wannsee schieben das Feld während der Wettfahrten ganz schön durcheinander. Und andere Faktoren auch: „Wenn du hier noch ‘ne Weile weiterfährst, dann sitzt du irgendwann auf.“ – „Wieso, jetzt läuft‘s doch und die da vorne fahren doch auch noch weiter.“ – „Nee, die sitzen schon auf“. – „Okay. Wende.“

Wir segeln immer wieder mal neben Segelnummern, die man auf den großen Ranglistenwettkämpfen regelmäßig unter den top ten sieht. Ansonsten: SWE, EST, GBR, viel GER natürlich und außerdem FIN. Kein DEN. Die Dänen beweisen auch hier wieder ihre überlegene Klasse.

Zwei Wettfahrten werden es und als sich danach alle auf einmal um Schwanenwerder herum durchs Bojenfeld der Hafeneinfahrt der SV 03 nähern, entscheiden wir: wir nutzen das schöne Wetter und den Wind noch aus, um die Oberhavel in Richtung Scharfe Lanke ein bisschen zu erkunden. Klaus Kühn erzählt uns, wie es während der Berliner Teilung war, hier zu segeln. Dass er als Kind und Jugendlicher im Grunewald häufig Munition aus dem Weltkrieg gefunden hat. Dass da immer noch überall Munition herumliegt. Wir runden Lindhwerder, auf dem sich der Yachtclub Müggelsee eine irrsinnig schöne Bleibe geschaffen hat, nachdem infolge der Berliner Teilung der alte Standort am Müggelsee aufgegeben werden musste. Der große Charme am Segeln in Berlin liegt in den verwinkelten Gewässern, wo hinter jeder Kurve ein neuer Blick wartet.

Zurück im Hafen, ein Blick auf die Ergebnisliste: unsere Ergebnisse mit Plätzen in den zwanziger und dreißiger Rängen sind zwar nicht gerade zum Angeben geeignet – aber Rolf Huber und Eckart Rapp haben mit einem 16. Platz die Bilanz des Teams „Konstanz“ ganz schön aufgehübscht. Rainer Willibald mit Martin Graf und Norbert Herrmann mit Olaf Jahnke haben sich als Team „Bodensee Ost West“ da erheblich wackerer geschlagen als wir.

Was wir zum Glück nicht haben, sind Schäden – andere hingegen schon. Das gravierendste ist ein gebrochenes Ruder, passiert bei einem mißglückten Leetonnenmanöver, „und dann schossen wir da ohne Ruder auf diese Insel zu…“ – nicht lustig. Hier sind ja überall irgendwelche Inseln in der Nähe. Aber anstatt sein Boot aus Angst vor weiteren Schäden aus dem Rennen zu nehmen, hat der Eigner offensichtlich trotzdem so viel Spaß gehabt, dass das Boot abends geslippt, repariert und wieder eingewassert wird.

In der Schlange zu Einlaufbier und Currywurst komme ich mit zwei Briten ins Gespräch. Ich versuche, ihnen zu erklären, warum es in Berlin natürlich Currywurst geben muss. Dann irgendwann die Frage: Wo kommt ihr denn her? „Royal Yachtclub of Lymington“, das ist im Süden Englands. Interessant. Ich komme vom Bodensee. „Lake of Constance“, ich versuche, ihnen zu erklären, wo das liegt, seglerisch aus Sicht einer der großen Seefahrernationen ja vermutlich eher an der Peripherie. Doch zu meiner Überraschung haben die beiden eine klare Vorstellung: „Frederickshaven“. Ja, genau – „woher kennt ihr denn?“ Es stellt sich heraus, dass einer von ihnen in der Olympiakampagne 1976 FD gesegelt ist – gegen die Diesch-Brüder. So klein ist die Welt.

Und mit derartigen Neubekanntschaften (Dänen, Ungarn, Finnen) geht der Abend weiter, während wir ein leckeres Drei-Gänge-Menü verspeisen, das Unterhaltungsprogramm der SV 03 mit live-Darbietungen Berliner Lieder verfolgen und die Bilder des Tages auf der Leinwand im Hintergrund laufen.

Sonntag, zweiter Wettfahrttag.

Heute kommen mir die Dreher und Windfelder noch stärker vor als gestern. Es passiert uns mehrmals, dass wir mit hängendem Großbaum schleichen, während wenige Meter neben uns die Schiffe zwischen Schaumkronen davonziehen. Wohin man hier im Revier gucken muss, dass man das rechtzeitig erkennt und dann richtig disponieren kann – das müssen Elly und ich wirklich noch lernen. Aber wir sind nicht die einzigen, die von Kreuz zu Kreuz einmal im Feld nach vorne und dann wieder nach hinten fahren. Leider haben Rolf und Eckart ihren Erfolg von gestern auch nicht wiederholen können. Aber in der letzten Wettfahrt sehe ich Rainer und Martin in der Spitzengruppe aufs Ziel zu segeln. Sie werden sechste – ein tolles Ergebnis. Auch Norbert und Olaf sind gestern einmal neunte geworden. Insgesamt sind wir – vor allem angesichts der Konkurrenz – gar nicht so schlecht gesegelt.

Am Ende wird das Team „Konstanz“ 19. Team von 26 und das Team „Bodensee Ost West“ kommt immerhin auf den 14. Rang.

Epilog
Montag, abends in Meersburg.

Olaf setzt mich an der Fähre ab.

Elly und ich sind morgens bei Sommerwetter durch den allmählich erwachenden Park von Sanssouci gewandert, die berühmten Terrassen hoch und wieder runter, die Orangerie entlang, am chinesischen Pavillon vorbei…

Jetzt stehe ich an der Mauer und schaue mit leerem Kopf aufs Wasser.

Wo bin ich hier? Was für ein Tag ist heute? Warum ist es hier so dunkel? Wo will ich hin und was mache ich dann? Ich hab‘ alles vergessen. Psychologen nennen das: Erholung.
Es war eine wunderbare Veranstaltung!
Ganz herzlichen Dank an die Berliner Crew um Thomas Strasser und Gunther May, die an alles gedacht und uns drei Tage lang eine unvergessliche Veranstaltung geboten hat.
Und das Wetter – nun ja, das Glück ist mit den Tüchtigen!

von Erika Beyerle