KROATIEN 2012 – EIN SOMMERTÖRN MIT MOLTINA

Die Marina Kastel Gomilica ist eigentlich von allen Seiten gut geschützt. Im Südosten thront die Stadt Split auf einer großen Landzunge, im Südwesten ist es die Insel Ciovo, welche die Bucht gegen das Meer abschottet. Und trotzdem gibt es genau hier, auf diesen vierhundert Metern, über die sich die Hafenanlage erstreckt, die kräftigsten Fallwinde, die man an diesem Küstenabschnitt erleben kann. Hätte man die Marina nur ein paar hundert Meter weiter westlich oder östlich gebaut, hätte man sich manches Problem erspart. So hat es uns jedenfalls ein einheimischer Segler erzählt. Wie sehr hier die Bura toben kann, zeigt sich schon, wenn man an den Trockenliegeplätzen entlang spaziert. Die großen Yachten, die hier auf soliden Böcken abgestellt sind, sind mit Spanngurten an kräftigen Bodenankern zusätzlich gesichert. Immer wieder soll es hier Sturmschäden geben, sowohl an Land als auch an den Stegen. Direkt an der Nordseite, zum Anfassen nahe, ragt die Steilwand der Dinarakette empor. Von hier stürzen sich zuweilen die Luftmassen senkrecht herab, um sich über alles herzumachen, was sich hier unten allzu sorglos tummelt. „Bura“ nennen die Kroaten diese Fallwinde, wobei dieser Begriff hier nicht unbedingt auf die bei uns Seglern als Bora bekannte Nordwindlage über der Adria begrenzt ist, obwohl auch diese hier als Bura bezeichnet wird. „Bura“ sind aber darüber hinaus allgemein alle Winde, die von den Bergen herunterkommen, das kann auch ein Südwind sein, der an der Nordseite einer der bergigen Inseln herunterrauscht.

Am 24. Mai sollten wir eine kleine Kostprobe einer lokalen Bura bekommen. Die Annäherung an die Marina Kastela war soweit ganz ruhig verlaufen, wie so oft waren wir dabei, unseren Anleger unter Segeln vorzubereiten (was verboten ist, aber Nada ruft dann meist den Hafenmeistern zu, dass der Motor kaputt sei, dann lässt man uns gewähren). Jetzt kam aber ganz plötzlich ein Wind auf, der mir gar nicht gefiel, unerwartet und gleich so heftig, das wir uns dazu entschlossen, nur achthundert Meter vor der Einfahrt die Segel zu bergen und unseren Zweitakter anzuwerfen. Der ging nach einigen Minuten aus und blieb stumm (später stellte sich heraus, dass ich vergessen hatte, die Tankentlüftung zu öffnen). Also setzten wir die Fock und kreuzten durch heftige Böen in den Hafen, gleich in Richtung der ersten freien

Stegplätze. Am Steg waren einige der Marinaangestellten in großer Aufregung zusammen- gelaufen. Heftiges Abwinken, Nada’s Ruf: „der Motor ist kaputt“ (diesmal nicht ganz gelogen), sorgte für noch mehr Aufregung. Schließlich das Werfen der Vorleine, man fängt sie auf und behält sie angestrengt in der Hand. „Machen sie doch die Leine fest“, ruft Nada. Antwort: „Sie können hier nicht liegen bleiben“. „Ja, das können wir doch später klären, wenn wir wissen, wo wir hinkönnen und wenn der Motor wieder läuft“. „Sie müssen da hinten hin!“, „Ja, das machen wir später“. Die Angestellten haben noch immer die Leine in der Hand, können das Boot kaum gegen den Wind festhalten. „Papiere, Papiere“, rufen sie jetzt. Ich glaube es nicht! Da sind wir nun froh, ohne Schaden inmitten von drei freien Steg- plätzen angekommen zu sein, und das einzige, was hier interessiert, sind unsere Papiere zum Einklarieren. Nada wird jetzt „etwas deutlicher“, und endlich bemüht man sich, die Leine festzuknoten.

In den meisten größeren Marinas hat man sich nach der Öffnung zum Westen hin auf das Chartergeschäft konzentriert. Durch die Nähe zum Flughafen ist die Marina Kastela ein idealer Ausgangspunkt für die Gäste. Zahllose Charterflotten belegen die Häfen zumindest an den Wochenenden, wenn die Crews wechseln. Dann wimmelt es nur so von Neuankömm- lingen und jenen, die ihren Urlaub hinter sich haben und für die Heimreise zusammen- packen. Aber auch unter der Woche, wenn die Yachten draußen bei den Inseln sind, gibt es für unser kleines Folkeboot kaum geeignete Plätze. So hat man uns auch in der Marina Kastela in den hintersten Winkel verwiesen, zu den Schlauchbooten der Charterfirmen, wo neben einigem angeschwemmten Müll das sonst so blaue Wasser von einem regenbogen- bunten Film überzogen ist, welcher untrüglich nach Benzin riecht. Und auch preislich kennt man hier keine Schmerzgrenze: die nach Bootslänge gestaffelte Preisliste hört unten bei zwölf Metern auf, und das ist und bleibt auch unsere Liegegebühr. Und für das Stellen des Mastes (nach unserer Vorbereitung eine Affäre von fünf Minuten) bezahlen wir soviel wie für das Aufriggen einer kompliziert verstagten Yacht: fünfundachtzig Euro.

Den kroatischen Clubhäfen ist es dagegen verboten, ausländische Gäste aufzunehmen, auch dürfen dort nur Boote unter kroatischer Flagge gekrant werden oder andere Hilfeleistungen in Anspruch nehmen. Und man hält sich strikt daran, andernfalls drohen empfindliche Strafen: man will vermeiden, dass damit Schwarzgelder verdient werden, es geht um die Außenerscheinung im Zuge der Bemühungen um den Beitritt zur Europäischen Union.

Aber genug der Schelte, die kroatische Küste ist und bleibt ein traumhaftes Segelrevier. Im Süden von Split liegt Brac, in drei Stunden segeln wir die fünfzehn Seemeilen bis nach Milna an der Südwestecke dieser Insel. Dort gehen wir gleich im ersten Hafen fest, an Backbord, bei dem netten Hafenmeister Nikola. Wir liegen hier ruhiger und günstiger als in der halbstaatlichen ACI- Marina weiter im Inneren der Bucht. Und gleich daneben haben wir einen wunderbaren Felsenstrand.

In Bol an der Südküste von Brac verbringt die Familie von Nada’s Schwester gerade einen zweiwöchigen Urlaub. Hier wollen wir ein paar Tage sein, vor allem, weil unser sechsjähriger Neffe Elias das Segeln auf unserer MOLTINA genauso gerne hat wie wir selbst, und unser Auftauchen sollte für ihn eine Überraschung sein. Zuerst fahren wir über Land nach Bol, um uns ein Bild von den örtlichen Gegebenheiten zu machen. Der kleine Hafen der Stadt ist bei allen Winden gänzlich ungeschützt. Vor dem Hotel gibt es jedoch ein paar Bojen, eigentlich für Tageslieger gedacht, aber bei gutem Wetter kann man es riskieren, auch über Nacht dort zu bleiben. Ich mache mich alleine auf den Weg, um das Boot von Milna hierher zu verholen. Bei günstigem Wind wäre das in ein paar Stunden zu schaffen, und zunächst mache ich auch gute Fahrt. Zwischen den Inseln Brac und Hvar entdecke ich zwei Delfine vor mir, in regelmäßigem Rhythmus tauchen sie zum Atmen auf. Allmählich hole ich Sie ein und passiere sie im Abstand von zweihundert Metern, bis sie nach einer Stunde weit achteraus bleiben.

Trotzdem muss ich erkennen, dass ich bei abflauendem Wind immer langsamer geworden bin und Bol auf einer langen Kreuz heute nicht mehr zu erreichen sein wird. In der Bucht von Starigrad auf der gegenüber liegenden Insel Hvar hoffe ich auf einen geeigneten Platz für die Nacht. Inzwischen ist es jedoch stockfinster geworden, und ohne Sicht ist mir die Suche nach einem Ankerplatz in einer der vielgepriesenen Buchten zu riskant. Also lasse ich das Boot mit dem letzten Windhauch bis tief in die Bucht treiben, wo ich um Mitternacht im bescheidenen Licht der Hafenpromenade nach einem Liegeplatz Ausschau halte. Vor einer

Bar sitzen ein paar junge Leute an einem Tisch. Schließlich steht einer der Männer auf und ruft mir zu, winkt mich heran und nimmt meine Leinen zum Festmachen an. Ich geselle mich zu der Runde und bedanke mich mit einer Lage Bier. Der junge Mann ist hier bei der Hafenbehörde beschäftigt, ein gering bezahlter Job, der auf die Dauer der Segelsaison begrenzt ist, danach herrscht auf der Insel winterliche Ruhe, ohne Aussicht auf eine alternative Beschäftigung. Heute Nacht darf ich hier umsonst liegen, und morgen früh will ich ohnehin zeitig aufbrechen. Tags darauf bringt mich ein frischer Westwind zügig nach Bol, wo ich mit großem Hallo von Nada und Elias empfangen werde.

Nach drei Tagen kündigt der Wetterbericht einen kräftigen Scirocco an, kein guter Wind für unseren Bojenplatz. Wir wollen noch ein paar Tage in Bol bleiben, im Hotel, also bringe ich das Folkeboot in Sicherheit. Jelsa bietet sich an, am Nordufer von Hvar, nur zwölf Seemeilen von hier entfernt. Der zunehmende Wind gewährt mir eine rasche Überfahrt. In der kleinen Marina gibt es für mich nur einen winzigen Platz in einem Winkel der Hafenmauer, ein kleines Kunststück, hier unter Segel anzulegen, also berge ich die Segel und starte den Außenborder. Schon vom Anfang unserer Reise ließ er sich schlecht schalten, und jetzt geht auf einmal gar nichts mehr. Beim Versuch, den Gang einzulegen, bricht schließlich der Schalthebel ab, das war es also erst einmal mit dem Motor. Also dann doch das Kunststück, was bleibt mir übrig, und trotz Herzklopfen kommt das Boot heil an den Anleger. Was nun? Erst einmal brauche ich jetzt eine Mahlzeit, dann lässt es sich besser nachdenken! Im Restaurant frage ich nach einem Mechaniker, was ich eigentlich für aussichtslos halte, wo soll denn bitte in diesem winzigen Nest eine Werkstatt sein? Der Kellner empfiehlt mir den Mopedverleih, es gibt dort auch ein paar kleine Mietboote. Heute ist Sonntag, da dürfte sowieso nichts zu machen sein, aber ich sehe mir das Geschäft einmal an. Eine kleine „Kruschtelbude“, nicht gerade geeignet, mir große Hoffnungen zu geben. Ein junger Angestellter ist aber da, und er verweist mich an einen Tisch an der benachbarten Konoba, dort sitzt der Chef bei einem Kaffee. Er spricht ziemlich gut Deutsch, hat in Deutschland gearbeitet. „Ja ja, Yamaha, guter Motor, mindestens fünfzehn Jahre, aber besser als die neuen. Ich habe keine Teile, aber ein Freund hat den gleichen Motor, lass das Ding mal da, vielleicht kann man was machen“.

Die Fähre bringt mich am nächsten Morgen zurück nach Bol, nachdem ich den Motor beim Verleiher abgegeben habe. Als ich nach zwei Tagen mit Nada in Jelsa ankomme, ist der Motor repariert. Es war eine gebrochen Schraube im Getriebe, das Ganze musste zerlegt werden, mehrere Teile inklusive des Schalthebels wurden getauscht, irgendwo sogar ein neues Gewinde in das Aluminiumgehäuse gebohrt, neues Öl eingefüllt, und alles ist perfekt gemacht. Die Ersatzteile hatte der Mechaniker von seinem Bekannten, es wird Monate dauern bis neue eingetroffen sind, aber das hat jetzt Zeit. Abermals haben wir von der Hilfsbereitschaft und dem Können der Kroaten profitiert.

 

Wunderschöne Badebuchten finden wir auf der Insel Palmizana im Süden von Hvar. Doch es sollte einige Tage dauern, bis wir dieses Ziel erreichen, obwohl es eigentlich nur „um die Ecke“ liegt. Auf dem Weg dorthin, noch dicht unter der Nordküste von Hvar, frischt der Wind plötzlich auf. Wie so oft hier, geht das ganz schnell. Noch kommen wir damit gut zurecht, wenn wir jetzt auch bereits die sportliche Variante des Folkebootsegelns ausüben. Die Fallwinde lassen jedoch nichts Gutes erahnen. Wenn wir jetzt die Nase um die östliche Huk herum strecken, wird es wohl ordentlich etwas auf die Mütze geben. Gerade haben wir eine hübsche, tief eingeschnittene Ankerbucht passiert, und wir entschließen uns, umzudrehen und darin Schutz zu suchen. Dass das ein guter Entschluss war, erleben wir wenig später. Wir liegen schon an einer der „wild“ ausgelegten Bojen des Restaurants in der Pribinjabucht, als uns gewaltige Fallböen das Fürchten lehren. Und das sollte in den nächsten beiden Tagen auch so bleiben, in den Nächten heult uns der Wind um die Ohren, und auch große Yachten haben sich hierher geflüchtet. Dass man von uns erwartet, bei Nutzung der Boje auch das Restaurant zu besuchen, ist kein schlechter Kompromiss, denn Essen und Wein sind dort ausgezeichnet.

Nach Palmizana geht es zunächst zurück nach Split, denn unsere Nichte Julia und deren Freundin Lena wollen für eine Woche dazukommen, eine Einladung unsererseits zum bestandenen Abitur. Bis dahin wussten wir nicht, ob man auch zu viert auf einem Folkeboot Urlaub machen kann, jetzt wissen wir: es geht! Höhepunkt dieses Törns sollte die Marina Maslinica auf der Insel Solta sein. Zwischen der Insel und den vorgelagerten Felsen wird es ganz flach, das glasklare Wasser erlaubt uns jedoch steten Sichtkontakt mit dem Grund, und so kommen wir auf dem kurzen Weg in den Hafen. Hier hat man ziemlich investiert, auch gegen den Widerstand von Umweltschützern, aber das Resultat kann sich sehen lassen, die bescheidene, aber hübsche Marina wertet das Inselstädtchen auf und sorgt für den von den Einheimischen dringend benötigten Tourismus.

Zum Schluss noch ein Wort zum Fahrtensegeln auf dem Folkeboot. Die wunderbaren Segeleigenschaften unserer Bootsklasse sind ja allgemein bekannt. Wir haben viel mit diesem Boot erlebt, waren in Norwegen bis zum nördlichen Polarkreis, in Schweden, Dänemark, zuletzt bereits drei mal auf dem Mittelmeer in den kroatischen Gewässern. Wir wissen, wie schnell das Boot sein kann, wie gefügig es auch bei Starkwind auf das Ruder reagiert, mit welcher Gelassenheit es über und durch die Wellen geht. Es wird immer viel davon geredet, wie viel Wind das Boot verträgt und welche Stürme es schon überstanden hat, und angeblich soll es noch nie einen Totalverlust gegeben haben. Ich bin seit vielen Jahren auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob man sich mit diesem Boot wirklich auf allen Gewässern sicher fühlen kann, wenn man nicht den Kompromiss einer selbstlenzenden Plicht eingehen möchte. Eine Antwort darauf habe ich noch immer nicht gefunden, und werde sie auch nicht finden. Für mich kann ich nur sagen, dass vieles möglich ist, aber sicher nicht alles. In einer richtigen Bora, so wie sie in der Kvarner Bucht auftreten kann, mit ihren chaotischen Wellenbildern, ihren Brechern, die von der „falschen Seite“ eintreten können, oder in einem der sommerlichen Gewitterstürme, möchte ich nicht auf einem Folkeboot sein. Es gilt, wirklich vorsichtig zu sein, Wetterinformation ist das A&O des Folkebootseglers, und trotzdem treten gerade in Kroatien immer wieder unerwartete Wendungen ein. Ich möchte die Leser gerne dazu auffordern, ihre Schwerwettererfahrungen auf dem Folkeboot mitzuteilen, vielleicht gibt es ja noch die eine oder andere Anregung.

von Roland Dietrich